Heidelberger Ballschule: Das Original im DHC

Interview mit Hannes Lüttig, Ansprechpartner für die Heidelberger Ballschule im DHC

Frage: Warum versucht „Lacrosse“ die „Heidelberger Ballschule“ im DHC zu etablieren?

Das ist eine kurze Geschichte mit langem Vorlauf. Als ich 2013 das Damenteam übernommen habe, war für das Team das übergeordnete Ziel, das Lacrossespiel der Zukunft zu entwickeln. Auf der Ebene der klassischen taktischen Anweisungen ist dies durch die Adaption zentraler Boxlacrosseelemente und dem Auflösen von Spielerpositionen gelungen. Gleicher-maßen offenbarten sich bei vielen Spiele-rinnen in Bezug auf die Handlungsschnelligkeit und den technisch-taktischen Wahrnehmungshorizont Defizite, die mit einfachen Anweisungen durch die Coaches nicht zu lösen waren. Auf der Suche nach einer Lösung sind wir auf einen Artikel in einer sportwissenschaftlichen Fachzeitschrift gestoßen, in welchem auf Grundlage der „Module der Motorik“ nach Hossner eine sinnvolle Konzeption zur Handlungsschnelligkeit entwickelt wurde. Die Heidelberger Ballschule und die Ideen Hossners vereint derselbe sport-wissenschaftliche Hintergrund, so dass der Weg zum didaktisch-methodischen Konzept der „Heidelberger Ballschule“ vorprogrammiert war.

Frage: Was ist unter der „Heidelberger Ballschule“ zu verstehen?

Die Heidelberger Ballschule ist ein umfassendes wissenschaftliches Konzept zur optimalen Vermittlung der Sportspielfähigkeiten -und fertigkeiten. Entscheidend für diesen wissenschaftlichen Ansatz ist die Zerlegung der Sportspiele in ihre relevanten taktischen, technischen und koordinativen Bausteine (ABC für Spielanfänger). Auf Grundlage dieser Bausteine können Trainer fundierte „Was-Entscheidungen“ treffen, so für ihr Training klare Zielsetzungen formulieren und evaluieren sowie sinnvolle methodische Entscheidungen treffen.

Frage: Für wen ist die „Heidelberger Ballschule“ geeignet?

Für alle Alters- und Leistungsklassen. Bisher wird das Konzept jedoch überwiegend im Kinderbereich praktiziert. Ein zentrales Postulat der Ballschule ist die Feststellung, dass Kinder Allrounder und keine Spezialisten sind. D.h. die Ausbildung der jungen Sporttreibenden erfolgt vom Allgemeinen zum Speziellen, damit ein breites technisches, taktisches und koordinatives Fundament entwickelt wird, auf welches in den spezifischen Sportarten zurückgegriffen werden kann. Dieses Fundament ist die Grundlage für Kreativität und Spielverständnis und damit auch für Freude am sowie Erfolg im Spiel.

Bedeutet das, dass die Kinder nicht wie üblich in einer Einzelsportart ausge-bildet werden?

Ja, und nicht nur die Kinder, sondern auch die Jugendlichen. Zu bedenken ist, dass die entwicklungspsychologisch sensible Phase für die Ausbildung spielerischer Kreativität bis in das 13. Lebensjahr reicht. Das bedeutet, dass eine frühere Spezialisierung aus sportwissenschaftlicher Sicht suboptimal ist, da sie zu einer Wahrnehmungsverengung führt. Aber auch aus entwicklungspsychologischer Sicht scheint es sinnvoller, dass die jugendlichen Sportreibenden auf der Grundlage einer allgemeinen Sportausbildung sich die für sie passende Sportart selbst aussuchen sollten.

Frage: Nehmen die Kinder dann bis in das Jugendalter nicht an Wettkämpfen teil?
Im Gegenteil. Den Kindern und Jugendlichen sollte die spielerische Wettkampferfahrung nicht vorenthalten werden.

…aber in welcher Sportart?

Lacrosse, Tennis und Hockey. Die Auswahl bedarf einer kurzen Erläuterung: Ein weiteres zentrales Element der „Heidelberger Ballschule“ ist die Idee der „Familienähnlichkeit“. D.h. Sportspiele lassen sich in die Sportspielfamilien Rückschlag-spiele (RS), Torschusspiele (TS) und Wurf-spiele (WS) einteilen. Die „Familienähnlichkeit“ wird dabei durch den Grad der Ballbesitzkontrolle bestimmt: RS erlauben nur Einfachberührungen; TS erlauben es den Ball zu führen, jedoch ist diese stets offen und für die Gegenspieler spiel-bar. Bei Wurfspielen wird der Ball weitest-gehend geschlossen geführt und es ist ungleich schwieriger für den Gegenspieler, den Ball zu erobern. Mit den Sport-spielen des DHC Tennis (RS), Hockey (TS) und Lacrosse (WS) können also alle Sportspielfamilien abgebildet werden.

Frage: Heißt das, die Ausbildung der „Heidelberger Ballschule“ bleibt unspezifisch bis in das Jugendalter?

Nein. Das Konzept sieht auf der ersten Stufe eine allgemeine Ausbildung vor (ABC für Spielanfänger). Auf der zweiten Stufe wird entlang der Sportspielfamilien spezialisiert, in dem die Bausteine unterschiedlich gewichtet, gestrichen bzw. erweitert werden. Auf der dritten Stufe steht ein spezifisches Spiel.

Frage: Aber die Ballschule des DHC bleibt entgegen des Konzeptes allgemein bis zum 13. Lebensjahr?

Ja und nein. Wir definieren die Familienähnlichkeit in anderer Weise. Die Ähnlichkeit unserer Spiele ergibt sich aus der Mittelbarkeit der Ballberührung: Wir benutzen alle einen Schläger. Während die gängige Einteilung der Sportspielfamilien sich eher an einer taktischen Ähnlichkeit orientiert, ist unsere Einteilung durch die technisch-koordinative Ähnlichkeit bestimmt. In gewisser Weise wird aus der Ballschule eine Schlägerschule.

Frage: Müssen die Kinder dann das dreifache Trainingspensum absolvieren?

Nein. Das Konzept der „Heidelberger Ballschule“ ist nicht additiv, sondern integrativ. Das heißt, es wird nicht in einem Training Tennis und im nächsten Lacrosse trainiert, sondern es werden Bausteine spielerisch erlernt. Dabei sind bestimmte Bausteine mit den verschiedenen Werk-zeugen unterschiedlich leicht zu bewältigen. So kommt es zu Synergien unter anderem durch vorwegnehmendes Lernen. Beispielsweise ist ein „Dribbling“ mit dem Lacrosseschläger ungleich leichter als mit dem Hockeyschläger, so dass die Spielenden schon früher die Gegen- und Mitspielerbewegung wahrnehmen können. Sobald die Spielenden den Hockeyschläger besser beherrschen, kann auf diese Fähigkeit zurückgegriffen werden. Gleichermaßen profitiert das Lacrosse-spiel vom Hockey in Bezug auf die Antizipationsfähigkeit: Mit- und Gegenspieler müssen sich im Hockey schneller orientieren, da die Verweildauer des Balles an einem festen Ort wesentlich kürzer ist. Im Tennisspiel kann wie in keinem anderen der beiden Spiele beispielsweise die Stellung und das Timing zum Ball erlernt werden usw..

Frage: Das hört sich ein wenig an wie ein wissenschaftliches Konzept zur Leistungssteigerung. Bleiben dabei nicht die Interessen der Kinder und Jugendlichen unberücksichtigt?

Nein. Gerade weil es eine wissenschaftliche Klarheit über den zu vermittelnden Gegenstand gibt, konnte ein altersgerechtes, didaktisch-methodisches Konzept entwickelt werden, dessen Grundprinzipien „Entwicklungsgemäßheit“, „Vielseitigkeit“, „Freudbetontheit“ und „unangeleitetes Lernen“ sich an den spezifischen Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen orientieren.
Außerdem sollten die Kinder mehr spielen als trainieren. Das heißt effektiver als jedes Training ist das intrinsisch motivierte Spiel der Kinder und Jugendlichen. Das Training kann Anregungen liefern, das eigentliche Lernen erfolgt im freien Spiel. Deshalb werden in Zukunft freie Spielzeiten angeboten, um die weitestgehend verlorengegangene „Straßenspielkultur“ zu kompensieren. Kein Trainingspensum kann quantitativ und qualitativ mit dem freien Spiel der Kinder und Jugendlichen konkurrieren, sofern diese die entsprechenden (Zeit-) Räume zur Verfügung haben.

Frage: Das hört sich theoretisch gut an. Wie wird aber in der Praxis die Trainingsqualität gewährleistet?

Wir freuen uns, dass der DHC offizieller Kooperationspartner der „Heidelberger Ballschule“ ist. Damit verpflichten wir uns dazu, dass nur ausgebildete Ballschullehrer das Training mit dem Siegel „Heidelberger Ballschule“ leiten dürfen. Um Ballschultrainer zu werden, muss sowohl eine entsprechende sportliche Qualifikation gegeben sein (Übungsleiterlizenz, Sportstudium) als auch ein Lehrgang der „Heidelberger Ballschule“ absolviert worden sein. An dieser Stelle sei dem Ballschulzentrum „Ballduin“ gedankt, dass wir an dem Lehrgang „Mini-Ballschule“ trotz der widrigen Umstände teilnehmen konnten.

Frage: Wird es in ferner Zukunft beim DHC kein sportartspezifisches Kinder-und Jugendtraining mehr geben?

Kann sein, muss aber nicht sein. Wir als Lacrosseabteilung haben die Möglichkeit neue Dinge auszuprobieren, ohne dass wir das Kind mit dem Bade ausschütten. Wir werden beispielsweise kein alter-natives Hockeytraining anbieten und damit die äußerst erfolgreiche Jugendarbeit der Hockeyabteilung in Frage stellen. Unter anderem aus diesem Grund werden wir „Floorball“ statt Hockey als Torschusspiel in das Training integrieren. Außerdem benötigen wir für das moderne Lacrossespiel Spielende in Linksauslage. Hier sind wir also ein wenig egoistisch.

Welche Vorteile bietet die Ball- bzw. Schlägerschule?

Das ist eine Frage der Perspektive. Aus der Perspektive des Leistungssports bildet ein breit angelegtes technisch-taktisches bzw. koordinatives Fundament die Grundlage für den „bestmöglich“ Spielenden. Kurzfristig ist eine Spezialisierung auf Sportarten sowie Positionen und die Fokussierung auf das Konditionstraining im Kindes- bzw. Jugendalter sicherlich erfolgversprechend. Bezogen auf die langfristige Entwicklung der Sporttreibenden ist dieses Vorgehen kontraproduktiv, da dieser Weg zu häufig in sportliche „Sackgassen“ führt.
Aus Elternperspektive ist ein alters-gemäßes, freudbetontes und motivieren-des Konzept wie das der „Heidelberger Ballschule“ im Sinne der kindlichen Entwicklung zu bevorzugen. Motorische Fähigkeiten haben einen positiven Einfluss auf die Lernfähigkeit, die Konzentrationsfähigkeit und dienen der Krankheitsprävention.
Aus Vereinsperspektive ist das Konzept geeignet den „Drop-out“ insbesondere im Alter von 16-20 Jahren zu verringern, da zum einen die Alternativsportarten des DHC bereits erlernt wurden und ein Umsatteln somit unproblematisch ist. Zum anderen ist die ursprüngliche Entscheidung für eine Sportart im besten Falle durch die Jugendlichen selbst bestimmt getroffen worden, so dass von einer höheren Stabilität der Entscheidung ausgegangen werden kann. Zudem bietet die „Heidelberger Ballschule“ vielfältige Anknüpfungspunkte für den Breitensport und ist insbesondere im Kinder- und Jugendbereich ein attraktives Angebot zur Steigerung der Mitgliederzahlen.
Aus der Perspektive der Kinder und Jugendlichen unterstützt das Konzept die selbst bestimmte Entwicklung und bietet durch das freudbetonte, unangeleitete Lernen eine besondere Fülle an „Dopaminräuschen“.

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